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Kinect, der autonome Datenstaubsauger

05/2013 · Auch zwei Tage nach der Präsentation schlägt das Thema Xbox One immer noch hohe Wellen. Neben zahlreichen Gamern, die mit der Präsentation der nächsten Xbox-Generation nicht zufrieden sind, melden sich nun auch vermehrt alarmierte Datenschützer zu Wort.

von Max Bahne

Gerade das beeindruckendste Element, mit dem Microsoft auf der Xbox-Präsentation die Fachwelt zum Staunen bringen wollte, ist zum Stolperstrick für die Xbox One geworden: Die neue Kinect-Kamera. Schaute man sich die ersten zehn Minuten des Microsoft-Events, das Sie hier zusammengefasst finden, an, glaubte man, in der Zukunft angekommen zu sein. Blitzschnell wechselte Xbox-Marketingchef Yusuf Mehdi mit der Xbox One vom Fernsehprogramm in den Spielfilm und vom Film direkt in das Rennspiel Forza 5. Während eines Basketballspiels holte er mit einem einfachen Sprachbefehl per Skype seinen Kumpel dazu, um mit ihm über das gerade laufende Spiel zu reden. Mit intuitiver Gestensteuerung, die man vom Smartphone-Gebrauch auswendig kennt, zoomte er leicht ins Bild oder wechselte zwischen Inhalten hin und her.
Der Preis, mit dem die Zukunft ins Wohnzimmer geholt werden kann, ist allerdings hoch - für viele Gamer und vor allem für jeden Datenschützer zu hoch: Der Kinect-Sensor schränkt die Privatsphäre stark ein. Die Fähigkeiten der Kamera beschrieben die zahlreichen Redner beim Xbox-Event äußerst umfassend. Mehdi sagte zum Sensor: "Es weiß, wer Sie sind, was Sie wollen und wie Sie es wollen.", und spielte auf die Eigenschaft der Kinect-Kamera an, zu erkennen, wer alles vor dem Fernseher sitzt, wann der Nutzer den Blick vom Bildschirm abwendet, wann er Emotionen zeigt. "Kinect weiß nicht nur, wer im Zimmer ist. Es weiß auch, wer welchen Controller in den Händen hält", versprach Yaron Galitzky, der für die Entwicklung der Kinect-Kamera verantwortlich ist. Weiterhin erklärte er: " Kinect erkennt: Wer ist im Zimmer? Was tun die Personen? Wie fühlen sie sich? Und wir können das nicht nur für einen Spieler sondern für bis zu sechs". Was im ersten Moment nach einer glänzenden Zukunft klingt, eine auf mich zugeschnittene Multimedia-Zentrale im Wohnzimmer zu haben, sieht nach dem zweiten Blick durch die Datenschutzbrille gar nicht mehr so rosig aus.

Noch sammelfreudiger als Google
Die Kinect-Kamera könnte also mit der richtigen Software das bisher machtvollste Datensammelinstrument werden, das bisher in der Medien-Welt existiert. Selbst Google steht im Schatten des klobigen Sensors, der neben Umgebungsdaten auch biometrische Daten des Nutzers erfassen kann - Galitzky sagte, der Sensor könne sogar den Herzschlag des Nutzers messen. Den Unterschied macht das aktive Datensammeln der Kamera. Im Gegenteil zu Google, dass in beinahe allen Fällen eine Interaktion des Nutzers benötigt - zum Beispiel die Eingabe eines Begriffs in die Such-Zeile -, um Daten zu erfassen, sammelt die Kinect-Kamera selbstständig. Möglich wird die Autonomie des Sensors durch das Fehlen eines echten Ausschalters. Damit der Nutzer die Konsole mit einem einfachen Sprachbefehl starten kann, befindet sich die Kamera ständig im aufnahmebereiten Sleep-Modus.
Ist die Kamera erst einmal erwacht, beginnt sie sogleich mit der Datensammlung - egal ob der Nutzer fernsieht, spielt oder sich einen Film anschaut. Sie registriert bei welchen Werbeblöcken der Nutzer hinsieht, vielmehr erkennt die Kamera sogar, ob dem Nutzer die Werbung gefällt, ob er lacht, anerkennend nickt oder sich langweilt. Werbeanalysten dürften sich angesichts dieser Möglichkeiten bereits die Hände reiben, war es doch bisher höchstens möglich herauszufinden, bei welchem Spot der Konsument wegzappt. Die aus der Kinect-Kamera gewonnen Informationen sind für werbende Unternehmen also Gold wert - und somit theoretisch im Umkehrschluss auch für Microsoft.
Der amerikanische Software-Konzern hat sich zu der Datenschutz-Problematik bisher nur zaghaft geäußert - wohl auch, weil Datenschützer in den USA nur eine kleine Randgruppe ohne Lobby sind. Der Konzern sagte, dass die von Kinect gesammelten Daten lediglich temporär auf der Festplatte der Konsole gespeichert würden und nicht in die Cloud gespeist würden. Bedenkt man die Aussagen der Verantwortlichen von Microsoft, ist der lasche Beschwichtigungsversuch allerdings hinfällig - ohne die schwierige Vergangenheit vom Thema Microsoft und Datenschutz erst zu nennen. Denn wie möchte Microsoft mit der Xbox eine personalisierte Multimedia-Zentrale schaffen, die weiß, "was der Nutzer will und wie er es will", ohne die Nutzer-Daten in die Cloud zu senden und auszuwerten?

Möchte man sich dem Einfluss von Kinect entziehen - die übrigens im Paket mit jeder Xbox One verkauft wird - und die tatsächlichen Qualitäten der Xbox nutzen, wie den tollen Controller oder die starke Gaming-Performance, reicht es nicht, nur die Kamera abzukleben. Denn Kinect nutzt nicht nur eine handelsübliche Kamera, sondern auch andere Sensoren, die vom Papier nicht verdeckt werden können.
Es bliebt also nur der altmodische Weg: Nämlich den Stecker zu ziehen und auf die Kamera zu verzichten, womit sich Microsoft sowohl ins eigene Fleisch, als auch in das Fleisch des Nutzers schneidet. Denn die Kinect-Kamera wäre DER Kaufgrund gewesen, der den Käufer der nächsten Konsolengeneration von der Playstation 4 zur Xbox One lockt. Zudem machte die verbesserte Kamera den Eindruck, nun endlich für Core-Spiele geeignet zu sein. Derzeit dürfte der Kinect-Datensammler bei vielen Xbox One-Käufern direkt in der Konsolenverpackung liegenbleiben, was innovativen neuen Core-Games, die Kinect nutzen, schon vor dem Launch den Boden unter den Füßen wegzieht.

Xbox, go home!
Auf dem Xbox-Event sorgte ein Befehl dafür, dass Ordnung ins Chaos des Herumgestikulierens und Herumbrabbelns gebracht wurde: "Xbox, go home!". Ob Microsoft bewusst oder unbewusst ein Homonym, also einen Begriff mit zwei Bedeutungen verwendet hat, verriet der Konzern nicht. Denn "Go home!" bedeutet nicht nur, zurück zum Start, zurück zum Ursprung zu gehen, sondern auch, sich gefälligst vom Acker zu machen. Der Großteil der Xbox-Fangemeinde sprach nach dem Microsoft-Event "Xbox, go home!" mit letzterer Absicht aus. Dabei sollten die Xbox-Fans darauf hoffen, dass sich Microsoft die erste Bedeutung des Ausspruchs zu Herzen nimmt und bis zum Release der Konsole den Weg zurück zum Ursprung zu findet. Denn die Xbox ist eine Spielekonsole und kein Datenstaubsauger.

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