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Paradigmenwechsel - Ein Kommentar zum 41-Megapixel-Smartphone Nokia Lumia 1020

07/2013 · Smartphone-Interessierte haben vielleicht den Trubel um das neue Nokia Lumia 1020 mitbekommen: Ein Smartphone mit einer 41-Megapixel-Kamera. Wer die Frage beantwortet haben wollte, ob die was taugt, bekam in den Internet-Foren von den meisten (selbsternannten) Digitalkamera-Fachleuten eine deutliche Antwort, die sich folgendermaßen zusammenfassen lässt: "Bullshit!"
Aber stimmt das? Wir haben versucht, Nokias Ansatz nachzuvollziehen und stellen verdutzt fest: was die machen, ist gar nicht so blöd! Auch der Digitalkamera-Markt könnte von dieser Entwicklung profitieren.

Nokia Lumia 1020

"Finger weg von hohen Pixelzahlen!"

Zunächst einmal muss wohl erläutert werden, warum die hohe Megapixelzahl des Nokia Lumia 1020 von Digitalkamera-Fachleuten reflexartig mit so viel Häme überschüttet wird. Eine Digitalkamera-Kaufberatung werden die meisten Kenner mit folgendem Satz beginnen: Eine hohe Megapixel-Zahl ist noch lange kein Garant für gute Bildqualität! Vor allem in der niedrigen Preisklasse, also bei Digitalkameras mit kleinen Sensoren und mittelmäßiger Optik kann sich eine hohe Sensorauflösung sogar negativ auf die Bildqualität auswirken. Leider wird aber gerade da eine hohe MP-Zahl eingebaut - sieht schließlich beeindruckender aus.

Der Grund für die schlechtere Bildqualität bei vielen MP: je mehr Pixel, desto enger liegen sie beieinander und kleiner sind sie. Das führt dazu, dass es schneller zu Störsignalen und folglich zu winzigen, aber sehr zahlreichen Bildfehlern kommt: dem sogenannten Bildrauschen. Nur sehr hochwertige Kameras mit großen Sensoren (z.B. die Nikon D800 mit 36 MP) können gut mit so vielen Pixeln umgehen.

Bei den meisten Kameras mit hoher Auflösung wird kameraintern ein Weichzeichner über die Bilder gejagt, um das Rauschen zu unterdrücken. Der bügelt aber nicht nur das Rauschen glatt, sondern auch feine Bilddetails. Mit dem Ergebnis, dass die Bilder einer 20-Megapixel-Kompaktkamera meistens nicht schärfer sind die einer 16-Megapixel-Kamera, bei der das Bild nicht ganz so stark überarbeitet werden musste. Im Gegenteil: nicht selten sind weniger hoch auflösende Digitalkameras der gleichen Preisklasse sogar besser.

Starke Megapixelsteigerung, leichte Auflösungsverbesserung

Die Qualität der internen Bildbearbeitung, also der Interpolation, Rauschunterdrückung, Nachschärfung der Kanten etc., ist für die Bildqualität mindestens ebenso wichtig wie ein guter Sensor und eine hochwertige Optik. Vergleicht man bei Digitalkameras die nominelle und die effektive Sensorauflösung, so liegt das reale Ergebnis immer unter dem, was der Sensor theoretisch bietet: Bunte Bildpunkte, die aus der Masse herausstechen, werden entfernt, und um das zu erreichen, werden Spitzen nivelliert. Es gehen also Bilddaten verloren.

Bei den Digitalkamera-Konstrukteuren herrscht der Ehrgeiz, von der nominellen Auflösung so viel wie möglich umzusetzen – auch wenn jedem klar ist, dass ein Ansteigen der Megapixelzahl kein gleichwertiges Ansteigen der Bildqualität (genauer: der Auflösung) bedeuten kann. Aber eine Steigerung wird nichts desto trotz erwartet: Wenn eine 20-Megapixel-Kamera nur die Auflösung einer durchschnittlichen 16-MP-Kamera schafft, wird verächtlich die Nase gerümpft.

Nikon D800 & Nokia Lumia 1020

Angemessener Vergleich? Eher nicht: Die Nikon D800 (36 MP) und das Nokia Lumia 1020 (41 MP)

Nun zum Nokia Lumia 1020 - oder - aus 41 Megapixeln mach 5…

Und nun kommt Nokia mit einer winzigen 41-Megapixel-Kamera in einem Smartphone. Kein Wunder, dass  die Digitalkamera-Szene die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Dazu kommt, dass der Werbetext sich bezüglich der Leistung des Smartphones eher zurückhaltend äußert – was den Verdacht nur bestärkt, dass die 41 Megapixel ein Bauernfänger-Argument sind.

Aber womit wirbt das Nokia Lumia 1020 genau? Primär mit einem Modus namens "Dual Capture", in dem ein Bild mit voller Auflösung und eines mit 5 Megapixeln aufgezeichnet wird. Das große Bild soll für eine spätere Überarbeitung (Bildausschnittsvergrößerung) dienen, das kleine ist für den Sofortgebrauch im Netz. Viel Wind wird auch um die "Oversampling"-Technologie gemacht, bei der die Pixelinformationen zusammengelegt, also quasi Pixel zusammengeschaltet werden. Das verringert die nominelle Auflösung, vergrößert aber effektiv die Pixel. Die Idee ist nicht neu, Fujifilm macht das bei seinen EXR-Kameras (z.B. der FinePix F900EXR) schon seit Jahren.

Die 41-Megapixel-Kamera im Nokia Lumia 1020 ist bekannt, sie ist bereits aus dem älteren Smartphone Nokia 808 PureView bekannt. Entsprechend viele Beispielbilder von Nutzern finden sich inzwischen im Netz... Und die sind richtig gut. Nicht nur für ein Smartphone, sondern auch im Vergleich zu vielen kompakten Digitalkameras, vor allem der niedrigen Preisklasse. Das Nokia 808 PureView gilt zu Recht als das Smartphone mit der besten Kamera.

Diese guten Bilder sind aber nicht die mit der hohen Auflösung (die durch Sensor-Beschnitt nur übrigens maximal 38, nicht 41 Megapixel beträgt), sondern die kleineren 5-Megapixel-Bilder. Und da liegt der Hund begraben!

Nokias Paradigmenwechsel

Nokia hat ein Umdenken gewagt. Denn – aufgepasst! – der 41-Megapixel-Sensor bietet zwar nominell diese hohe Pixelzahl, legt es aber gar nicht darauf an, diese umzusetzen. Das Nokia Lumia 1020 will nicht mit einer professionellen Spiegelreflexkamera wie der Nikon D800 (36 MP) mithalten, sie hätte auch gar keine Chance. Stattdessen wurde der Sensor offenbar so konstruiert, dass er die optimalen Daten für die interne Verarbeitung liefert, die daraus ein möglichst gutes 5-Megapixel-Bild erzeugt.

Nokias Rechnung ist einfach: Je mehr Daten man hat, desto inhomogener werden zwar die Aufnahmen, aber gleichzeitig hat man auch mehr Daten für die Verarbeitung zur Verfügung. Eine hohe effektive Auflösung ist nicht das Ziel, in voller Auflösung  werden die Bilder beim Nokia-Smartphone offenbar primär für den digitalen Zoom genutzt.

Fünf Megapixel klingen heutzutage nicht nach viel, schließlich hat jede Schnäppchenkamera, die einem die Discounter hinterherwerfen, mindestens 14 MP. Tatsächlich kann man mit 5 Megapixeln eine ganze Menge anfangen. Wenn man die Bilder in erster Linie auf dem Monitor ansieht (was in Zeiten des Internets und der sozialen Netzwerke die Regel ist), sind sie mehr als ausreichend, aber auch DIN-A3-Drucke sind mit 5 Megapixeln kein Problem.

Wer nicht glaubt, was für ein Knips-Potential in der 41-MP-Kamera des Nokia Lumia 1020 steckt, sollte mit eigenen Augen sehen, was die PureView-Technologie von Nokia kann: einfach mal eine Bildersuche für den Vorgänger "Nokia 808 PureView" starten.

Was bedeutet das für Digitalkameras?

Nokia lässt uns Digitalkamera-Nerds verwirrt zurück. Jahrelang haben wir gepredigt, dass die Auflösung nicht zu hoch gehen, und dass die effektive Auflösung der Fotos möglichst nah an der echten Auflösung des Sensors liegen sollte. Diese Regel galt nicht nur für professionelle Spiegelreflexkameras – wo sie berechtigt ist – sondern wurde auch auf kleine Kameras angewandt, die bei Gelegenheitsknipsern vom Handgelenk baumeln.

Allerdings – was machen Gelegenheitsknipser, also die Großzahl der Kamerabenutzer mit ihren Bildern? Keine mannshohen Poster, keine stundenlange Überarbeitung mit Photoshop. Die Bilder kommen ohne Umschweife in eine Diashow, auf Facebook oder über andere Wege ins Internet. Das erfordert Bilder, die auch unbearbeitet gut aussehen.

Dieser Zielgruppe kommt man bei Digitalkameras mit Effektfiltern und intelligenten Automatikmodi sehr entgegen. Gleichzeitig versucht man aber, mit einer immer höher werdenden Sensorauflösung auch die Auflösung zu steigern.

Aber wozu eigentlich, wenn eine höhere Auflösung gar nicht gebraucht wird? Nokia zeigt, wie es auch gehen kann. Anstatt also hohe Megapixelzahlen in Einsteiger-Digitalkameras als schädlich zu verdammen, sollte man sich vielleicht ganz von dem Paradigma der Megapixel verabschieden.  Auch wenn man bei 41 MP, die zu 5 umgewandelt werden, zunächst das Gefühl hat, hier würde mit Kanonen auf Spatzen geschossen… Warum sollte man eine extrem hohe Sensorauflösung nicht nutzen, wenn das Ergebnis seinen Zweck mehr als gut erfüllt?

Fazit

Bleibt zu hoffen, dass der strauchelnde Smartphone-Hersteller Nokia seine innovative Idee auch elitären Digitalkamera-Spezialisten verklickern kann, bevor die vielversprechende Kamera der Nokia Lumia 1020 in Grund und Boden geredet wird. Nichts geht in puncto Bildqualität über eine hohe Auflösung bei High-End-Kompakten mit großen Sensoren, System- und Spiegelreflexkameras! Aber der Markt spaltet sich immer stärker: Auf der einen Seite stehen die Fortgeschrittenen und Profis mit ihren Spiegelreflex und hochwertigen Objektiven, auf der anderen die Drauflosknipser, die einfach nur schnell und unkompliziert ein Foto machen wollen, das auf einem Monitor gut aussieht.

Wenn man für letztere Gruppe mit 41 Megapixeln sehr gute 5-MP-Fotos bekommt, warum sollte man das nicht nutzen? Vor allem die teilweise sehr traurige Bildqualität günstiger Digitalkameras für Drauflosknipser könnte davon sehr profitieren. Es wird Zeit, dass sich die Kamera-Hersteller etwas einfallen lassen. Schließlich ist in den letzten Jahren der Markt für kompakte Digitalkameras durch die Smartphone-Kameras dramatisch eingebrochen.

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